Mythos 1968

Mit großem Interesse erlebe ich, wie die Zeit meiner Jugend auf verschiedene Art und Weise und zu unterschiedlichen Themen in Museen und Ausstellungen präsentiert wird.

Das Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde/Stromberg zeigt(e) zu diesem Thema verschiedene Ausstellungen:

WE WANT TO MAKE A REVOLUTION

Eine Erinnerung an den Jaguar-Club in Herford, eine Ausstellung mit einem Leseabend, an dem Ruprecht Frieling über das Thema: Wie der Beat nach Westfalen kam, berichtete.

SEXY, MINI, FLOWER, POP-OP, Werbung und Werke von Charles Wilp.

Und abschließend ab dem 24.09.2017:

1968-POP, PROTEST UND PROVOKATION

Im rock’n‘popmuseum Gronau ist eine Sonderausstellung über das Lippmann + Rau Musikarchiv zu sehen.

Das Dortmunder U bietet ab dem Frühjahr 2018:

PINK FLOYD – THEIR MORTAL REMAINS an. Eine Ausstellung, die im Moment noch im Victoria & Albert Museum in London zu sehen ist.

Musik, Kultur und Kunst der 60er Jahre sind Thema von zahlreichen Ausstellungen und Tagungen.

Jugend und Protest

Ab Mitte der 60er Jahre entstand – auch durch die Beat-Musik beeinflusst – eine weitverbreitete Jugendprotest- Bewegung. Durch die zunehmende Politisierung an den Gymnasien und Universitäten entwickelte sich Kritik an den Autoritäten und der Elterngeneration.

In den 50er Jahren gab es bereits die Rock and Roll- und Halbstarkenbewegung, diese trug aber nicht zu einer politischen Veränderung bei.

Im Jahr 1962 kam es in München zu den „Schwabinger Krawallen“. Durch Straßenmusikanten, die abends musizierten, fühlten sich einige Anwohner belästigt und riefen die Polizei. Es kam zu Rangeleien; die Situation eskalierte. Tausende Jugendliche solidarisierten sich und es kam in den darauffolgenden Tagen zu schweren Straßenschlachten.

Bereits in den 50er Jahren protestierten zahlreiche Bürger und Verbände gegen:   

die Gründung der Bundeswehr und später gegen ihre Nachrüstung mit taktischen Atomwaffen.                                                

Verschiedene Gewerkschaften riefen auf zum Kampf gegen den Atomtod.

Die Außerparlamentarische Opposition (APO) formierte sich als Reaktion auf die Koalition von CDU/CSU und SPD. Beteiligt waren u.a. die Ostermarschbewegung, die Republikanischen Clubs, die Studentenbewegung und die Bewegung gegen die Notstandsgesetze.

Proteste und Demonstrationen richteten sich gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, die Rassen- und Bürgerrechtspolitik der USA und gegen die Hochschulpolitik an den Universitäten.

Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren.

Ab Mitte der 60er Jahre entstanden Bewegungen, die sich mit ihrer Lebensweise gegen die Wohlstands- und Leistungsgesellschaft richteten. Gammler, Hippies und Beatniks suchten nach neuen Lebensformen.

Einen großen Einfluss auf die Veränderungen hatte die Rockmusik, die damals Beatmusik genannt wurde. Das Erscheinen der Beatles veränderte die Welt. Laut, dynamisch und vital, ein Vorbild für zahlreiche Jugendliche jener Jahre. Die weltweite Rockmusik etablierte sich als fester Bestandteil der Kultur.

Die Veränderungen zeigten sich mit langen Haaren, bunter Kleidung und gemeinsamem Wohnen in Wohngemeinschaften und Landkommunen.

Für diese Lebensweise wurden wir damals von vielen Leuten beschimpft und angefeindet. Auf Grund unseres Aussehens bekamen wir Lokalverbote, mussten uns anspucken und Prügel androhen lassen. Oder uns Sprüche anhören wie: Adolf müsste mal wieder- kommen. Lass dir mal die Haare schneiden. Geht doch rüber (damit war die DDR gemeint).

1968 war ein ereignisreiches Jahr:

Martin Luther King wurde ermordet.

Robert Kennedy wurde ermordet.

Im April wurde ein Attentat auf Rudi Dutschke verübt. Dutschke wurde schwer verletzt und starb Jahre später an den Folgen dieser Verletzungen.

Im Mai kam es zu Unruhen in Frankreich. Studenten und Arbeiter demonstrierten, der Generalstreik wurde ausgerufen.

Truppen des Warschauer Paktes marschierten in die CSSR ein. Der „Prager Frühling“ unter Führung von Alexander Dubcek wurde niedergeschlagen.

Bei den Olympischen Spielen in Mexiko reckten dunkelhäutige amerikanische Sportler als Protest gegen die Rassenpolitik der USA ihre geballten Fäuste während der Siegerehrung in die Luft.

Ostern 68 in Oelde

Ostern 1968 fand der Ostermarsch auch in Oelde-Stromberg statt. Eine Gruppe junger Oelder traf sich zum Osterfeuer und demonstrierte für Frieden und Gerechtigkeit

Die Journalistin Beate Klarsfeld ohrfeigte Kanzler Kiesinger. Kiesinger war NSDAP- Mitglied und arbeitete unter von Ribbentrop im Reichsaußenministerium.

René Cassin, ein französischer Diplomat und Jurist, erhält den Friedensnobelpreis für die Verfassung der Allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Während des Biafra-Kriegs wurden durch Militär, Hunger und Massaker Millionen Menschen umgebracht.

In My Lai, in Südvietnam, vergewaltigten und ermordeten amerikanische Soldaten über 500 Zivilisten.

Foto: Ronald L. Haeberle – Quelle Wikipedia.de

Kriegsmuseum in Vietnam Hanoi 2006 Foto: © Torsten Schwichtenhövel

Papst Paul VI spricht sich gegen die künstliche Geburtenregelung und die Einnahme der Anti-Baby-Pille aus.

Dem südafrikanischen Arzt Barnard gelingt eine erfolgreiche Herztransplantation.

Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt, zwei der Täter sind Andreas Baader und Gudrun Ensslin.

In den Kinos liefen Filme, wie Spiel mir das Lied vom Tod, Zur Sache Schätzchen, 2001 Odyssee im Weltraum, Bonnie and Clyde und Rosemary`s Baby.

Musikalische Neuigkeiten gab es u.a. von:

Cream, Rolling Stones, Beatles, Doors, Moody Blues, Grateful Dead, Jimi Hendrix. John Mayall.

Deutsche Schlager mit u.a. Conny Froboess, Freddy Quinn, Peter Kraus und Lolita eroberten die Hitparaden.

Bücher gab es u.a. von:

Hubert Fichte, Siegfried Lenz und Rolf Dieter Brinkmann erschienen.

In Kassel präsentierte sich die DOCUMENTA 4 und in München wurde das Musical Hair aufgeführt.

In Essen fanden die Songtage 68 statt, mit Künstlern wie Alexis Korner, The Fugs, The Mothers of Invention.

Während des Burg-Waldeck-Festivals 1968 versammelte sich die Folk- und Protestsänger- Szene. Mit dabei waren Hannes Wader, Reinhard Mey, Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp.

Piratensender wie Radio Veronica und Radio Caroline versorgten uns mit Musik. Disc-Jockeys wie John Peel brachten uns über den Äther die musikalischen Neuigkeiten ins Haus.

Molins Eisdiele in wilden Hippiezeiten aus der Sicht eines Oelder Karikaturisten

Die beliebtesten Vornamen waren (laut beliebte Vornamen.com) :

Claudia, Anja und Susanne.

Stefan, Thomas und Michael.

Oelde 1968

Ausbildung, Arbeit oder Schule gehörten zum Alltagsleben. Nachmittags oder abends traf man sich bei Franco und Rina in der Eisdiele, im Hahnenteller, bei „Stuckie“ oder beim “Hammer von Essen“, in der Gaststätte Kramers Mühle. Gegenüber der Kneipe, in der alten Mühle, spielte eine frühe Beat-Band aus Oelde: The Little Sharks.

Gelegentlich ging es zu Leo Mühlenkamp ins Kino, entweder in die Schauburg oder ins UT (Universum-Theater). Leute, die einen Führerschein, Auto, Motorrad oder Moped hatten, waren klar im Vorteil. Damit boten sich immer Möglichkeiten, in alle Richtungen zu fahren.

Wir warteten mit Ungeduld auf das Wochenende, denn das versprach immer viel Abwechslung, wie den Starclub in Bielefeld, das Scala in Herford oder Livemusik im ehrwürdigen „Blauen Täuber“ in Oelde.

Leichen auf Latschen

In dieser Zeit kündigte sich die Bundeswehr an. Nach der Wehrerfassung ging es anschließend zur Musterung. Zwischenzeitlich hatte ich den Wehrdienst mit der Waffe verweigert. Die Deutsche-Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IDK) unterstützte und schulte die Leute, die interessiert waren oder vor den Prüfungsausschüssen um ihre Anerkennung kämpften. In Oelde trafen wir uns mit Gleichgesinnten im damaligen Von-Galen-Heim.

Foto: ©Von-Galen-Heim ca. 1975

Die Prüfungsausschüsse waren häufig mit Handwerkern, Lehrern oder kleinen Beamten besetzt, ältere Männer, die häufig noch dem „Führer“ in der Wehrmacht gedient hatten. Diese Herren hatten das Ziel, möglichst vielen Antragstellern das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (Artikel 4/3 GG) abzuerkennen und hatten dazu allerlei Fangfragen auf Lager, zum Beispiel: Stellen sie sich vor, sie gehen mit ihrer Freundin spazieren. Plötzlich springen drei bewaffnete Russen aus dem Gebüsch und wollen ihre Freundin vergewaltigen und ermorden. Sie haben eine Maschinenpistole dabei, was machen sie…..?

Ich wurde gefragt: Spielen sie ein Instrument? Wenn ja, dann können sie doch im Musikzug der Bundeswehr spielen.

Vor meiner Musterung hatte ich mich tagelang mit zu viel Alkohol, Nikotin, Pillen jeder Art und Schlafentzug präpariert. So saß ich dann mit vielen anderen Unwilligen in einem muffigen Loch in Münster und musste mich von „sadistischen“ Militärärzten quälen lassen. Nach diversen Kniebeugen und anderem Unfug wurde ich komplett auf den Kopf gestellt und zu meinem Erstaunen tatsächlich als gut und völlig geeignet gemustert.

Im Anschluss entstand ein jahrelanger Kampf mit verschiedenen Institutionen, um als Wehrdienstverweigerer anerkannt zu werden.

1968

Die Bezeichnung 1968 steht für ein Jahrzehnt der Rebellion, die im Jahre 68 ihren Höhepunkt fand. Heute, nach vielen Jahren werden die „68er“ unterschiedlich betrachtet. Für Einige waren sie für den Untergang des Abendlandes verantwortlich, für Andere sind es Erinnerungen an die eigene, „wilde Jugendzeit.“ Gleichzeitig symbolisiert 1968 einen Aufbruch in eine Veränderung und Demokratisierung der Gesellschaft.

Die Teile der 68er- Bewegung die den Kapitalismus (RAF) mit Gewalt stürzen wollten, haben außer Opfern und Gesetzesverschärfungen nichts hinterlassen. Aber der Teil, der die bürgerliche Gesellschaft demokratisieren und verändern wollte, hat einiges erreicht. Zum Beispiel:

die Mitbestimmung in den Betrieben, das Ende des Paragraphen 175, das Recht auf Abtreibung und ein Erstarken der Frauenbewegung. Es war eine Zeit der politischen und kulturellen Veränderungen, wodurch später auch Bündnis 90/Die Grünen, Greenpeace und die Friedensbewegung entstanden.