Das letzte Tabu Ein Abend mit Dr. Henning Scherf

Der Tod, das Sterben und unser Umgang damit

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Hospizbewegung im Kreis Warendorf fand am gestrigen Abend in der Aula der Overbergschule in der Marienstraße in Oelde eine Veranstaltung mit Herrn Dr. Henning Scherf statt. Wie der Oelder Anzeiger bereits am 19.03. gemeldet hatte, war die Veranstaltung bereits seit geraumer Zeit ausverkauft und so fanden sich ca. 180 Menschen zu der von der Hospizgruppe Oelde, der Familienbildungsstätte Oelde-Neubeckum, und der Stadtbücherei Oelde gemeinsam getragenen Veranstaltung ein.

Das letzte Tabu – Der Abend

Bereits um kurz nach 19.00 Uhr war der Raum gut gefüllt und die anhaltende Geräuschkulisse lies eine große Erwartungshaltung erahnen. Gastredner und Veranstalter waren bereits im Raum und der ehemalige Bremer Bürgermeister und Senator ließ es sich nicht nehmen, nahezu jeden der Gäste persönlich zu begrüßen. Die einzelnen Sitzreihen abschreitend, begrüßte der im Oktober diesen Jahres 80 Jahre alt werdende Ehemann, Vater, Großvater von 9 Enkeln, mit ausgesprochener Freundlichkeit die anwesenden Gäste per Handschlag, hatte für den ein oder anderen Gast neben einem kräftigen Händedruck auch eine Umarmung und für alle freundliche Worte der Begrüßung parat, die es den anwesenden Gästen schwer machten nicht für diesen beeindruckenden Menschen eingenommen zu sein.

Nach einer Begrüßung durch den Leiter der FBS Oelde, Dieter van Stephaudt, und einigen einleitenden Worten der Vorsitzenden der Hospizbewegung im Kreis Warendorf, Frau Elke Hohst, ergiff Herr Dr. Scherf das Mikrofon. Bevor er zur Lesung seines in Ko-Autorenschaft mit der emeritierten Professorin der Universität Bremen, Frau Dr. Annelie Keil überging, klärte er die anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer über die Entstehung de Buches, den Grund seiner Entstehung und die Verbindung zur Ko-Autorin Annelie Keil. Er erläuterte, dass Frau Prof. Dr. Keil leider nicht an der Lesung teilnehmen könne, da sie am selben Abend in Berlin einen Preis für Ihr soziales Engagement erhalte.

Henning Scherf erzählt

Beide Verfasser des Buches kennen sich seit der Zeit der Studien, sie als Studentin der Soziologie, Politikwissenschaften, Psychologie und Pädagogik, er als Student der Rechte. Da sowohl Frau Keil, wie auch Herr Scherf auf Grund ihres Alters über ein an Erfahrungen reiches Leben verfügen, geprägt von einer Kindheit während des 2. Weltkrieges, sich grundsätzlich unterscheidender Lebensläufe und doch geprägt von einer unverbrüchlichen Freundschaft, sind beide Autoren seit vielen Jahren in der Hospizbewegung tätig und nutzen ihre jeweilige Prominenz und Bekanntheit um für die Hospizbewegung zu werben, Menschen auf diese Weise Angst vor dem Sterben, dem Tod und all den beängstigenden Begleitumständen die das Lebensende mit sich bringt, zu nehmen.

Der Umgang mit dem Tod sei in unserer Gesellschaft nicht nur tabuisiert, sondern geradezu ausgeblendet, von vielen Menschen, die an einer Selbstoptimierung ihrer eigenen Person arbeiteten, seien Dinge, wie körperlicher Verfall, Gebrechen, Demenz und andere leidvolle Ereignisse und Erkrankungen nicht existent, sie verlangten aus diesem Grund, dass die Gesellschaft als Ganzes sich um die Unterbringung und die Begleitung von alternden und sterbenden Menschen kümmere, doch sei das Problem dadurch natürlich nicht zu lösen. Vielmehr sei jeder Einzelne gefragt, wenn es darum gehe, Familienangehörige, Freunde und andere Menschen beim Sterben zu begleiten.

Die Aufgabe jedes Einzelnen sei nicht die professionellen Pflegenden und Behandelnden zu kritisieren und auf die Erfüllung der vertraglich vereinbarten Leistungen zu schauen, sondern den sterbenden Menschen weitestgehend Hilfe zu leisten, sie zu begleiten, hierbei die Pflegekräfte zu unterstützen und empathisch zu handeln. Krankheit, Sterben und Tod sei für alle Menschen die Erwartung und es liege an jedem Einzelnen inwieweit er bereit sei, die Welt zu verbessern und sich selbst einzubringen, oder den Tod als außergewöhnliches, eigentlich nicht zum Leben gehöriges Ereignis zu betrachten, das auszublenden die beste Lösung sei.

Die gesamte Veranstaltung, die von 19:30 Uhr bis ca. 22:00 Uhr dauerte, war ein überzeugendes, inspirierendes Plädoyer für das Leben. Aber für das Leben in Gänze und nicht für ein Rosinenpicken von angenehmen Dingen, sondern der Akzeptanz der Gesamtheit des Lebens, mit all den unangenehmen Dingen wie Krankheit und Tod. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine engagierte Diskussion mit Fragen und Antworten im Gange, wobei etliche Teilnehmer sich nicht scheuten, auch sehr persönliche Dinge zu äußern. Fragen nach dem Umgang mit Ängsten vor dem Tod, mit dem Umgang von schwer depressiven Menschen, die den Verlust eines Angehörigen zu verarbeiten haben und viele andere Dinge wurden angesprochen und von Herrn Scherf auf sehr einfühlsame Art beantwortet.

Nachdem bereits, ob der fortgeschrittenen Zeit, vereinzelt Teilnehmer den Raum verlassen hatten ergriff Frau Elke Sohst noch einmal das Mikrofon und beschloss den Abend, nicht ohne Herrn Scherf für seine Teilnahme herzlich zu danken und ihm ein Präsent der Hospizbewegung des Kreises Warendorf zu überreichen.

Das letzte Tabu – Das Buch

Das letzte Tabu, der Tod. Ist der Tod ein Tabu? Oder ist nur unser Umgang mit dem eigenen Sterben, dem Sterben von Familienangehörigen, Freunden, Kollegen, Bekannten ein Problem. Jeder von uns hat einen eigenen Weg des Umgangs mit diesem Thema. Und egal wie man sich auch immer vorbereiten mag, man kann im Vorfeld nicht sagen, wie sehr, oder wie wenig es einen berührt.

Der Titel des Buches erscheint mir etwas reißerisch, als gäbe es keine anderen Tabus mehr, als sei das gesamte Leben bereits vollständig enttabuisiert, und nur der Tod, als quasi letztes Geheimnis, bleibe als Tabu bestehen. Dabei gibt es innerhalb der Gesellschaft, den Familien, ja bei einem selbst immer noch Tabus, Dinge über die man nicht sprechen mag, nicht sprechen kann, ja oft nicht einmal nachdenken möchte.

Wer denkt schon gern an seinen eigenen Tod? Wer denkt schon daran, wie es  sein wird, wenn die Eltern sterben, wenn enge Freunde nicht mehr da sind. Wer denkt gern darüber nach, wie es wird, wie es werden kann? Im Alter, oder vielleicht schon morgen durch Krankheit, Unfall, was auch immer?

Und hier setzt das Buch von Annelie und Henning Scherf an. Es erzählt vom Sterben, es nimmt uns mit, es erklärt uns Allgemeinheiten, natürlich, aber es hält uns eben auch einen Spiegel vor und sagt: habt keine Angst vom Tod zu reden, habt keine Angst den Tod zu akzeptieren. Er kommt ohnehin.

Und wenn man sein Leben akzeptiert, so wie es ist, mit allen positiven und negativen Aspekten, mit Erfolgen, Niederlagen, mit schönen und weniger schönen Tagen, wenn man sein Leben ehrlich sich selbst und den anderen gegenüber lebt, dann ist der Tod weder das letzte, noch überhaupt ein Tabu.

Dieses Buch kann einem wahrscheinlich nicht die Angst vor dem Tod, vor dem Sterben, vor Siechtum und Niedergang nehmen. Das wohl nicht. Es kann einem aber einen Wink geben, einen Moment der Aufmerksamkeit, einen Moment des Innehaltens und des sich Bewusstwerdens. Selbstbewusstsein kommt ja von sich seiner selbst bewusst sein. Das ist mehr, als die allermeisten Bücher vermögen.

Menschen, die ihr Leben nicht als selbstverständlich ansehen, die sich der Endlichkeit bewusst sind, die den Tod akzeptieren, die voller Demut wie ein Fels in der Brandung stehen, diese Menschen werden das Buch nicht brauchen, alle anderen sollten es lesen.

PS:

Ein Blick auf die Internetseite von Frau Prof. Dr. Keil macht schnell deutlich, dass Ruhestand nichts mit Ruhe zu tun haben muss.




Syrien – Zwei Brüder ziehen Zuhörer in ihren Bann

Hamed und Ahmed Alhamed sind seit 15 Monaten in Deutschland, seit letztem Herbst teilen sie die Eindrücke und Erlebnisse ihrer Flucht aus Syrien. 170 Zuhörer lauschten den Erzählungen am Donnerstagabend, den 2. März 2017 im Bürgerhaus in Oelde. Doch der Abend begann für Hamed bereits vor der ersten Geschichte überraschend.

Ein voller Saal im Bürgerhaus. Die Erwartungen der Veranstalter wurden weit übertroffen.

Am Donnerstagabend luden der Ortsverein Oelde des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und die Familienbildungsstätte Oelde-Neubeckum zu einem Vortrag der beiden Brüder Hamed und Ahmed Alhamed ein. Die Brüder stammen aus Syrien, sind vor 15 Monaten jedoch nach Deutschland geflüchtet. Mittlerweile wohnen sie in Ennigerloh. Seit Herbst letzten Jahres erzählen sie in ihrer neuen Heimat ihre Geschichte.

“Keine alternativen Fakten, sondern Erfahrungen aus erster Hand.”

Ingo Baum berichtete von den Anfängen der Flüchtlingsarbeit in Oelde

Dieter van Stephaudt fand direkte Worte zur Begrüßung

Dieter van Stephaudt, Leiter der Familienbildungsstätte Oelde-Neubeckum, eröffnete den Abend und fand direkte Worte zur aktuellen politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt.

In einer Zeit, in der alternative Fakten das Geschehen in der Welt bestimmen, wollen wir heute den beiden zuhören. Heute Abend gibt es keine alternativen Fakten, sondern Erfahrungen aus erster Hand.

, so van Stephaudt. Diese Worte fanden bei den 170 Besuchern großen Zuspruch. Ingo Baum, Rotkreuzleiter des DRK-Ortsvereins Oelde, berichtete über die Oelder Flüchtlingsunterkunft “Am Landhagen”. Diese wurde vom DRK ehrenamtlich aufgebaut und betreut, bis hauptamtlich Angestellte dies übernahmen.

Wir haben in der Flüchtlingshilfe viele freundliche und aufgeschlossene Menschen kennengelernt und konnten viel von ihnen erfahren.

Baum schloss mit einer Bitte:

Im Saal stehen Spendendosen. Die Brüder bekommen kein Geld für ihren Vortrag. Die gesammelten Spenden gehen an die Familie der beiden, die noch in Syrien lebt.

Syrien vor dem Krieg – bunt, freundlich und offen

In seinen Händen hält Hamed Alhamed seinen Asylbescheid.

Als Hamed Alhamed das Wort übertragen wurde, musste dieser kurz nach Worten suchen.

Ich bin sprachlos. Das Papier hier in meinen Händen ist mein Asylbescheid für drei Jahre. Ich habe lange gewartet, aber ich darf bleiben.

sagte er sichtlich ergriffen. Die Bescheinigung wurde ihm noch im Bürgerhaus von seinem Rechtsanwalt überreicht.

Ihr erstes Getränk gebe ich aus.

fügte er in Richtung seines Anwaltes hinzu.

Die Präsentation der beiden begann mit Bildern und Filmen, die man in Deutschland kaum noch kennt. Syrien vor dem Krieg – bunt, freundlich und offen. Doch diese Bilder änderten sich. Und mit ihnen die Stimmung bei den Besuchern. Das letzte Lächeln verschwand, als die ersten Schüsse aus den Lautsprechern zu hören und die ersten Explosionen auf der Leinwand zu sehen waren. Aus allen Stadtteilen Oeldes und allen Generationen waren Besucher vertreten. Hamed und Ahmed waren begeistert.

Trotz aller Hetze und Gerüchte: Es gibt immer Menschen, die so etwas hören wollen. Sie interessiert unsere Geschichte. Und das macht uns froh.

Warum Karneval?

Sprache, Kultur, Regeln und Bräuche. Dinge, die ein neuer Bürger erst lernen muss. Ein Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Sprache war “Kommst’ klar?” “Da fehlt etwas.

Wie sollen wir eure Sprache lernen, wenn ihr sie nicht richtig sprecht?

fragte Hamed in das Publikum. Ein Lachen schallte durch den Raum, die Stimmung war gehoben.

Es gibt Traditionen, die verstehe ich nicht.

fuhr er fort.

Karneval. Warum? Ich verstehe es nicht! Bier trinken gehört dazu, das habe ich verstanden.

Abschluss fand die Präsentation mit einem Video, welches den Alltag heute darstellt. Erstellt wurde dieses Video von Hamed, der in Syrien als Lehrer und Grafikdesigner tätig war. Hilfe hatte er von Freunden, die er in Deutschland kennengelernt hat.  Auch der Abend wurde von einer Freundin der beiden Brüder begleitet. Jana Nivelnkötter übersetzte an Stellen, an denen das Deutsch der beiden, welches “für die kurze Zeit in Deutschland schon sehr gut” sei, nicht ausreichte und sie so Englisch sprachen.

Ein gelungener Abend trotz des ernsten Themas

Waren mit der Veranstaltung zufrieden: v.l.: Ingo Baum, Michael Schmidt (DRK), Dieter van Stephaudt, Sandra Senger (Familienbildungsstätte), Hamed Alhamed, Ahmed Alhamed und Jana Nivelnkötter

Hamed war auch am Ende der Veranstaltung noch sprachlos:

Ein voller Raum, viele interessierte Menschen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Ahmed fand Worte:

Es ist schön zu sehen, dass so viele Leute zuhören wollen. Niemand ist gezwungen hier zu sein. Alle sind freiwillig hier. Vielleicht konnten wir den Menschen hier etwas Neues zeigen, vielleicht das Denken ändern.

Viele Besucher stellten den beiden noch Fragen, bedankten sich oder sprachen ihnen Mut zu für die nächste Zeit.