Eine Menschenkette für Menschen durch Oelde
Am letzten Samstag, den 18. September 2021 hat die Seebrücke Oelde gemeinsam mit vielen Oelderinnen und Oeldern ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität gesetzt. Der Oelder Anzeiger ist einen Teilbereich der Menschenkette mit dem Rad abgefahren. Wir haben dabei unsere Aufzeichnung am Eingang der Lange Staße vom Vicarieplatz aus gestartet. Die Kette zog sich dabei quer durch die Innenstadt über den Marktplatz zur Ruggestraße. Von dort ging es weiter über den Kreisel bei der Glocke in Richtung Lindenstraße. Am Ende dieser bog die Menschenkette ab Zur Axt und führte einen zur Gesamtschule Oelde. Besonders viele Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule wie auch deren Lehrer haben dort die Kette gebildet. Geendet hat die Menschenkette am Kreisel ortsauswärts der Wiedenbrücker Straße hinter der Feuerwache. (Anmerkung der Redaktion: Die Kette verlief von der Autobahn bis Innenstadt, wo wir unsere Route aufgenommen haben.)
Musik, Plakate und verstörende Bilder
Unter strahlendem Himmel trafen zu 12.30 Uhr die Teilnehmer der Menschenkette und andere Besucher auf dem Oelder Marktplatz ein, um dem Live-Programm beizuwohnen. Die Vorträge wurden dabei von Hans-Jürgen Netz anmoderiert.
Begonnen wurde von einem Quartett mit Musik auf Xylophonen. Diesem gelang es nach der Einführung, weitere talentierte Menschen an die anderen freistehenden Instrumente zu locken. Es wurde gemeinsam musiziert und getanzt.
Der Oelder Marktplatz war sehr gut gefüllt und wir schätzen, dass ca. 500 Menschen anwesend waren. Zudem waren die Außenbereiche der umliegenden Gastronomien und der Eisdiele sehr gut besucht.
Während der Musikvorträge wurden Bilder auf dem Marktplatz niedergelegt von Menschen, die auf der Flucht verreckt sind. Ertrunken in Flüssen oder auf dem Meer. Kinder, Frauen, Männer, die ihr Leben gelassen haben beim Versuch, in ein sicheres Land zu gelangen.
Während ich die Plakate der Toten fotografierte, spielten und tanzten Kinder zwischen diesen zur Musik. Ein Moment, in dem man die Kamera hat sinken lassen und einfach nur noch dachte: „Was für ein Sch..! Während die anderen Kinder hier spielen und tanzen, denke ich was die eigentlich für ein Glück haben, während die Plakatkinder auf der Flucht gestorben sind“. Aber diese Szene sollte schnell getoppt werden mit …
der Rede von Murat Akcabay, der aus der Türkei geflohen ist.
Ich heiße Murat Akcabay. Ich bin 1982 geboren. 2001 habe ich mit dem Studium begonnen. 2008 habe ich das Studium absolviert und daraufhin habe ich in einem privaten Nachhilfezentrum angefangen zu arbeiten. Das Institut, in dem ich tätig war, wurde aus politischen Gründen geschlossen.
2010 habe ich geheiratet. Meine Frau war auch wie ich in den Institutionen der Hizmet-Bewegung als Lehrerin tätig. Wir haben drei Kinder bekommen.
Im Jahr 2016 wurde gegen die Hizmet-Bewegung genauso wie gegen die Oppositionsparteien nach dem Putschversuch eine tiefgründige Hexenjagd durchgeführt. Im Rahmen dieser Politik kam es zu Entlassungen, willkürlichen Inhaftierungen, Folterungen während der Untersuchungshaft und Entführungen. Von Tag zu Tag wurden immer mehr Freunde von uns inhaftiert oder entführt.
Die Atmosphäre in der Türkei war dermaßen furchterregend und grausam. An diesen dunklen Tagen habe ich mich zusammen mit meiner Familie zwei Jahre lang versteckt.
Um uns aus dieser Schreckensherrschaft befreien zu können, entschieden wir uns zwei Jahre später zu fliehen. In den zwei Jahren wurden uns die Menschenrechte geraubt. Meine Kinder konnten aus Furcht vor Inhaftierung nicht zur Schule gehen. Wir konnten von den Gesundheitsdiensten nicht profitieren und uns mit unseren Eltern nicht treffen.
Am 18.07.2018 machten wir uns auf den Weg, um über den Fluss Mariza nach Griechenland zu fliehen. Während wir versuchten, mit dem Schlauchboot den Fluss zu überqueren, versank es.
Dabei ertranken meine Frau und meine Kinder.
Als eine Person, die sowohl seine Frau als auch seine Kinder verlor, möchte ich zu folgendem aufrufen:
Viele Menschen aus verschiedensten Regionen der Welt, die von den Grausamkeiten zur Hoffnung fliehen, leiden unter ähnlichen Schmerzen. Im Fluss Mariza und am Mittelmeer kommen immer noch Leute ums Leben. Wir befinden uns heute hier, damit das was erlebt wurde und die immer noch gefühlten Schmerzen ein Ende finden.
Wir dürfen unsere Verantwortung nicht vergessen und müssen uns gegenseitig daran erinnern. Es ist eine Notwendigkeit des Menschseins, auf das Erlebte als Individuen, Institutionen oder Staaten zu reagieren.
Vielen Dank.
Schatten und Licht
Während des Vortrags standen wir mit einem guten Bekannten zusammen. Dirk Sindermann kommentierte den Vortrag passend, dass man sich das mal vorstellen müsse, was dem Mann da passiert ist.
Eine starke Aktivistin und bei vielen Oeldern bekannt ist Claudia Kahlmeier. Sie unterstützt seit Anbeginn die Seebrücke und war auch dieses Mal wieder mit dabei.
Ich finde es wichtig und richtig, bei solchen Aktionen mitzumachen. Was wollen wir unseren Kindern sagen, wenn sie uns fragen “Warum hast du nicht geholfen?” Gerade für Kinder ist es nicht zu verstehen, dass Erwachsene nicht einfach helfen, sondern zögern und tausend Ausreden haben, warum und weshalb sie Menschen in Not nicht helfen und sie unterstützen. Ich könnte noch so viel sagen, aber eigentlich ist es doch völlig logisch: “Man lässt keine Menschen ertrinken. PUNKT!!!
Melanie Erben von der Evangelischen Kirchengemeinde hat dem Oelder Anzeiger im Gespräch ebenfalls berichtet, dass sie sich sehr über die Veranstaltung bei bestem Wetter hier auf dem Oelder Marktplatz freue.
Der Mehrgenerationen-Chor aus Diestedde unter Leitung von Raúl Huesca Valverde sorgte dann ebenfalls für positive Energie auf dem Marktplatz. Dabei wurden afrikanische Lieder angestimmt, die zum Mitmachen animierten. Raúl Huesca Valverde kommentierte im Telefoninterview ebenfalls, dass das Bild mit den tanzenden Kindern zwischen den Plakaten sehr konträr gewesen sei.
Das Programm wurde ausgeschmückt mit Gesangseinlagen einer sehr mutigen jungen Dame, die im Alleingang Michael Jackson´s Earth Song performte und einer Frau, die Querflöte spielte.
Die unzähligen Plakate und Menschen mit positiver Energie machten deutlich, dass Humanität und Nächstenliebe in Oelde die Mehrheit sind.