Der skandinavischen Literatur wird gern eine depressive Schwere nachgesagt. Je nördlicher die Erzähler angesiedelt sind, desto lichtloser seien ihre Werke, hört man immer wieder. Jonas Jonasson, ein gebürtiger Schwede, brach nach 20 Jahren seine Zelte im Norden ab und zugvogelte gen Süden in den Schweizer Kanton Tessin. Vielleicht war das der entscheidende Grund, dass er ein federleicht geschriebenes Roadmovie zu Papier brachte, das völlig verdient als Münchhausiade erster Ordnung in luftige Höhen der Hitparaden fliegt.
Hauptheld Allan Karlsson ist ein Aussteiger wie er im Buche steht: An seinem 100. Geburtstag entkommt der rüstige Senior aus dem Altenheim, während der Stadtrat samt Presse und Heimleitung zur Feierstunde wartet, um ihn wie ein Tier im Käfig zu begaffen, für ihn zu singen und ihn mit Torte zu füttern. Ohne Hut und in Pantoffeln schafft es Allan bis zum Bahnhof, wo er einen großen Koffer mitgehen lässt, der sich später als Depot eines Räuberschatzes offenbart.
Gejagt von einer Motorradgang, die den wertvollen Koffer wieder zurückhaben will, sowie von einem ehrgeizigen Staatsanwalt und der Polizei, die glaubt, der alte Herr sei entführt worden, gerät der Protagonist in immer neue wundervolle Situationen und lernt dabei Typen können, die allesamt aus eigenen Romanen entstiegen sein könnten. Denn jeder Einzelne von ihnen ist eben solch ein Sonderling, wie Allan einer ist. Deshalb ziehen sich die Figuren auch magisch an, stehen einander bei und erzeugen gemeinsam ein Tohuwabohu, dass an Spaß und Genussfreude nichts zu wünschen übrig lässt.
Geschickt eingeflochten in die absurde, sich orgiastisch steigernde Spielhandlung ist die Biografie des Hundertjährigen, die ebenso fantastisch und märchenhaft ist wie seine Flucht aus dem Siechenheim. Dabei schraubt sich auch diese Lebensgeschichte in immer groteskere Höhen: Aus einem Knaben, der gern mit Knallfröschen spielt, wird ein Sprengstoffexperte, der im spanischen Bürgerkrieg versehentlich dem Faschistengeneral Franco das Leben rettet, darauf unter dessen Schutz nach Amerika reist und erneut durch Zufall – stets verbunden mit einem Saufgelage und einer opulenten Mahlzeit – den entscheidenden Hinweis für den Bau der Atombombe gibt und damit Duzfreund von US-Präsident Truman wird, Stalin ärgert, Maos Geliebte rettet, Kim Il Sung trifft und sich mit vielen anderen Potentaten und Staatschefs betrinkt …
Im Ergebnis treffen der Hundertjährige, ein für unschuldig erklärter Gelegenheitsdieb, ein ewiger Student, seine schöne Verlobte und deren Haustiere, ein Elefant und ein Schäferhund, ein religiös gewordener Lebensmittelgroßhändler, ein einstmals einsamer Kriminalkommissar sowie ein ehemaliger Gangsterboss mitsamt Mutter aufeinander. Mittels Schnaps, vertrackter Zufälle und einem Lerneifer, der ihnen ein gemeinsames Überleben sichert, findet sich diese herrliche Truppe und beschert dem Leser, der an ihren Abenteuern teilhaben darf, ein Meisterwerk literarischer Hochkomik, das seinesgleichen sucht.
Ein wundervolles leichtes Stück Literatur, das Regenwolken vom Himmel bläst und die Sonne wieder scheinen lässt.
Jonas Jonasson Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand. Roman Carl´s Books 2009, ISBN-13: 978-3-570-58501-6
Mit viel Humor geschrieben, bisweilen auch ziemlich abgedreht und etwas abstrus. Leicht zu lesen. Ideal für ein wenig Zerstreuung am Ende eines anstrengenden Tages, oder in der Weihnachtszeit nachdem die Verwandschaft endlich gegangen ist.