Der ultimative Filmtipp: »Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger«

Allein auf hoher See: Richard Parker und Pi PatelFoto: ©Twentieth Century Fox

Allein auf hoher See: Richard Parker und Pi Patel
Foto: ©Twentieth Century Fox

Wird in jüngerer Zeit kaum noch ein aufwändig produzierter Film gezeigt, der nicht in 3-D-Technik gedreht wurde und beim Betrachten das Tragen entsprechender Brillen mit Polfiltern verlangt, beschert uns das neue Jahr eine 125 Minuten lange Erzählung in opulenten Bildern, bei der die Dreidimensionalität endlich einmal zur vollen Entfaltung kommt. »Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger« ist die kongeniale Umsetzung der gleichnamigen Romanvorlage, bei der die Technik endlich einmal so eingesetzt wird, dass der Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes den Tiger im Nacken spürt …

Ang Lee, Regisseur von Meisterwerken wie »Brokeback Mountain« (2005) und »Tiger & Dragon« (2000) hat es gewagt, den mehr als sieben Millionen Mal verkauften, als  schwer verfilmbar geltenden Roman von Yann Martel in ein überwältigendes Filmerlebnis zu verpacken. Dabei setzt er auch technisch neue Maßstäbe, wenn er Richard Parker, den Tiger, der mit dem kleinen Pi in einem Rettungsboot auf dem Ozean treibt, gestaltet.

Die Story des Films

Erzählt wird die Geschichte des indischen Schülers Piscine Molitor Patel, der seinen französischen Vornamen einem prächtigen Schwimmbad verdankt. Es dauert jedoch nicht lange, und der Geistesblitz des Bösen durchfährt einen seiner Mitschüler, der eines grauen Tages ruft: »He da kommt Pisser Patel«. Auf dem Haupte des Jungen lastet fortan eine Dornenkrone. Immer wieder wird er mit der Frage konfrontiert: »Ich muss mal. Wo ist denn hier für Pisser?«

Als Piscine auf die Oberschule wechselt, entschließt er sich zu einer Radikalkur. Der Unterricht beginnt, wie stets am ersten Schultag, mit dem Aufsagen der Namen. Als Piscine an der Reihe ist, springt er auf und läuft an die Tafel. Bevor der Lehrer etwas einwenden kann, greift er ein Stück Kreide und schreibt mit, was er sagt: »Ich heiße Piscine Molitor Patel, besser bekannt als …«, und er unterstreicht doppelt die ersten beiden Buchstaben seines Vornamen, »… Pi Patel«. Um es noch deutlicher zu machen, fügt er hinzu: »Pi = 3,14« und zeichnet einen großen Kreis, den er dann mit einem Strich durch die Mitte in zwei Hälften teilt, damit auch der Letzte begreift, auf welchen Grundsatz der Geometrie der Junge anspielt. So wird der »Pisser« zu Pi, und ein neues Leben beginnt für den jungen Mann.

Pi Patel wächst in einem Paradiesgarten auf, und bereits der Vorspann des Filmes macht das auf wundervolle Weise deutlich, indem er exotische Tiere paradieren lässt: Sein Vater ist Direktor eines gepflegten Zoologischen Gartens, der in der südindischen Stadt Pondicherry betrieben wird. Er erfährt viel über die verschiedenen Tiere und das aus Sicht der Zooleute gefährlichste aller Lebewesen: den Menschen. Im Zoobetrieb geht es darum, die Tiere an den Menschen zu gewöhnen und ihre natürliche Fluchtdistanz zu verringern, das ist der Abstand, den ein Tier zu seinem natürlichen Feind hält. Pi lernt, dass gesunde Zootiere nicht aus Hunger oder Mordlust angreifen, sondern weil der erforderliche Abstand zu ihnen unterschritten wird. Und er begreift die Rolle des Alphatieres: Wenn zwei Geschöpfe sich begegnen, wird derjenige, dem es gelingt, den anderen einzuschüchtern, als der Ranghöhere anerkannt, und zu einer solchen Rangentscheidung ist kein Kampf erforderlich, in manchen Fällen genügt eine Begegnung.

Diesem Wissen soll der junge Mann sein Leben verdanken. Denn die Familie entscheidet sich, mit Sack und Pack, einschließlich der meisten Tiere, von Indien nach Kanada auszuwandern. Die weite Reise erfolgt auf einem Überseedampfer, das indes bei Nacht und Nebel kentert und spurlos versinkt. Pi Patel überlebt das Inferno und flüchtet sich in ein Rettungsboot. Wie groß ist jedoch sein Schreck, als aus den Fluten weitere Überlebende auftauchen, die das Rettungsboot als ihre Insel ansehen: eine grässliche Tüpfelhyäne, ein Orang-Utan, ein Zebra und ein bengalischer Königstiger, der auf den Namen »Richard Parker« hört und eine Attraktion im Zoo war.

Die Überlebenden massakrieren sich bald gegenseitig, nur Pi Patel und Richard Parker bleiben zurück. Der Junge versucht anfangs, sich auf ein selbst gebasteltes Floß vor der Bestie zu flüchten. Doch dann beginnt er vorsichtig, seinen eigenen Bereich abzustecken, den das Tier schließlich akzeptiert. Er zähmt den Tiger, der ihm gehorcht, zumal er von ihm mit frisch geangelten Fischen gefüttert wird. Hilflos treiben sie im Ozean. Es beginnt eine Odyssee, die mit großer Anmut und sensiblem Einfühlungsvermögen erzählt wird, so dass der Zuschauer jede Phase des Zusammenlebens zwischen Mensch und Tier mitempfinden kann.

Magischer Realismus

»Schiffbruch mit Tiger« ist ein sowohl witziger wie auch abenteuerlicher Film mit philosophischem Tiefgang. Obwohl die Handlung zwischen permanenter Todesangst und listigen Überlebensstrategien pulst, enthält sie herrliche Szenen voller Komik und Humor. Die Story endet skurril, die Schiffbrüchigen entdecken ein seltsame, alles verschlingende Insel aus Algen und werden schließlich an Land und in ein neues Leben gespült.

Dabei wird die eigentliche Qualität der filmischen Umsetzung deutlich: Es ist magischer Realismus, der aus den Bildern spricht, eine fulminante Bildsprache, die zuletzt die durchaus berechtigte Frage aufkommen lässt, ob all die Geschehnisse tatsächlich stattgefunden haben oder nur der Phantasie eines außergewöhnlichen Jungen entsprungen sind …

 

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