Am kommenden Donnerstag, 11. April, findet um 16 Uhr im Großen Ratssaal eine öffentliche Sondersitzung des Rates der Stadt Oelde statt. Wesentlicher Tagesordnungspunkt ist die Feststellung der Ungültigkeit des Bürgerentscheids gegen die vom Rat geplante Umgestaltung des Oelder Marktplatzes. Dazu soll entweder der bisherige Ratsbeschluss aufgehoben und dem Begehren der Bürgerinitiative stattgegeben oder eine Wiederholung der Abstimmung beschlossen werden.
Der von Bürgermeister, Karl-Friedrich Knop eingebrachte Beschlussvorschlag lautet:
Ungültigkeit des Bürgerentscheids vom 24.03.2019 gegen den Umbau des Marktplatzes – Entscheidung zum weiteren Vorgehen
Beschlussvorschlag:
- Der Rat stellt fest: Der Bürgerentscheid gegen die Umgestaltung des Marktplatzes vom 24.03.2019 war unwirksam.
- Der Rat der Stadt Oelde beschließt, dem Bürgerbegehren der Herren Dr. Wohlbrück, Weber und Glaremin vom 27.12.2018 gegen die am 17.09.2018 beschlossene Umgestaltung des Marktplatzes und die Aufhebung des Ratsbeschlusses, nunmehr zu entsprechen und insofern die Ratsbeschlüsse vom 17.09.2018 und vom 14.01.2019 aufzuheben.
ODER
Der nach § 26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW durchzuführende Bürgerentscheid wird wiederholt und findet am .._ statt.
Sachverhalt
Der Bürgerentscheid vom 24.03.2019 ist wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers rechtswidrig. Es ist zu entscheiden, ob der Entscheid wiederholt wird, oder ob dem Bürgerbegehren durch Abänderung des Ratsbeschlusses vom 14.01.2019 stattgegeben wird.
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Den Abstimmungsberechtigten des Bürgerentscheids am 24.03.2019 wurde die Möglichkeit der Abstimmung mittels Stimmbrief eingeräumt. Auf dem zugehörigen Merkblatt zur Abstimmung per Brief wurde darauf hingewiesen, dass Stimmbriefe zur Wahrung der Frist bis spätestens am Freitag, 22.03.2019 zu versenden sind. Ein Stimmbrief musste laut Merkblatt zur Fristwahrung bis spätestens Sonntag, 24.03.2019, 16 Uhr, bei der Stadt eingegangen sein. Die Postzustellung bei der Stadt Oelde erfolgt nach Vereinbarung mit dem zuständigen Postdienstleister grundsätzlich nur von montags bis freitags. Ein Postfach unterhält die Stadt nicht. Daher konnte am Samstag, 23.03.2019 keine Postzustellung erfolgen. Eine Abrede über die ausnahmsweise Zustellung am Samstag wurde mit dem Postdienstleister nicht getroffen. Stattdessen blieb es bei dem gewöhnlichen Verfahren, dass Briefe nur montags bis freitags zugestellt werden.
Die auf Aufhebung des entsprechenden Ratsbeschlusses gerichtete Frage des Bürgerbehrens erhielt 4.925 Ja-Stimmen, 4.699 Abstimmungsberechtigte stimmten mit Nein. Das erforderliche Quorum zur Gültigkeit des Bürgerentscheids wurde um 6 Stimmen verfehlt.
Am Montag nach der Abstimmung, 25.03.2019, gingen bei der Stadt Oelde per Post weitere 28 Stimmbriefe ein, die ausweislich einer entsprechenden „Laufkarte“ am Freitag, 22.03.2018 im Postverteilzentrum in Werl vorlagen und – wenn eine Samstagszustellung ermöglicht worden wäre – höchstwahrscheinlich am Samstag bei der Stadt zugegangen wären. Diese dürfen nach entsprechender Rechtsauskunft der Kommunalaufsicht nicht nachträglich in die Abstimmung einbezogen werden, um auf diese Weise die fehlende Zustellungsmöglichkeit nachträglich zu heilen.
Die Durchführung eines Bürgerentscheids richtet sich nach § 26 GO NRW und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung für Bürgerentscheide des Innenministeriums NRW (§ 26 Absatz 10 GO NRW). Gemäß § 1 der Durchführungsverordnung des Ministeriums erlässt die jeweilige Kommune zusätzlich eine Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden. In §§ 12, 13 der Satzung der Stadt Oelde wird auf die Abstimmung mittels Stimmbrief Bezug genommen. § 17 der Satzung erklärt im Übrigen die Vorschriften zur Briefwahl aus der Kommunalwahlordnung des Landes NRW für anwendbar.
Gemäß § 13 Absatz 2 Nr. 1 der Satzung der Stadt Oelde werden Stimmbriefe, die verspätet eingehen, zurückgewiesen. Der Wortlaut ist identisch mit § 27 des Kommunalwahlgesetzes NRW. Weitere Regelungen, die auf den Umgang mit verspäteten Abstimmungsbriefen hinweisen, sind in der Satzung nicht zu finden, so dass gemäß § 17 der Satzung auf die Kommunalwahlordnung zurückgegriffen wird. In §§ 56 ff. der Kommunalwahlordnung NRW wird auf das Verfahren zur Briefwahl Bezug genommen. Im Übrigen müssen die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze Anwendung finden.
Die Stimmabgabe ist mit Eingang des Briefes bei der Behörde vollzogen (BayVerfGH, BayVbl. 1975, 15). Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierfür die gesetzte Frist für das Ende des zulässigen Eingangs, also Sonntag 16 Uhr. Ein Eingang liegt vor, wenn die Briefe so in den Verfügungsbereich des Wahlleiters bzw. Wahlvorstandes gelangen, dass dieser ohne wesentliche Zwischenschritte von ihnen Kenntnis nehmen kann (vgl. BVerwG, Beschluss v. 18.4.1978). Ein Eingang der 28 Briefe bei der Behörde konnte vorliegend am Sonntag um 16 Uhr nicht verzeichnet werden. Die Briefe waren zum maßgeblichen Zeitpunkt am Sonntag um 16 Uhr lediglich im Postdienstleistungszentrum in Werl angekommen, so dass die Stadt Oelde auf diese Briefe noch nicht ohne wesentliche Zwischenschritte zugreifen konnte.
Somit müssen die Briefe gemäß der Satzung und der Kommunalwahlordnung zurückgewiesen werden („nicht rechtzeitig eingegangene Briefe sind zurückzuweisen“). Eine darüber hinausgehende „Heilung“, weil die Stadt versehentlich samstags die Zustellung nicht ermöglichte und die Briefe höchstwahrscheinlich am Samstag zugestellt worden wären, ist nicht zulässig. Bei der gesetzten Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist (vgl. Bätge, in: Kommentar zur KommunalWahlO NRW, § 56 Rn. 6). Bei der schriftlichen Stimmabgabe (vgl. Briefwahl) dürfen verspätet eingegangene Briefumschläge nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwGE 55, 341). Auf den Grund der Verspätung kommt es nicht an. Das bedeutet vorliegend, dass eine Heilung beziehungsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig ist. Auch wenn den Wähler selbst keinerlei Verschulden trifft, trägt er allein das Risiko einer verspäteten Ankunft des Stimm- bzw. Wahlbriefes. Die erst am Montag nach der Abstimmung eingegangenen Briefe sind daher trotz eines fehlenden Verschuldens der Abstimmenden zurückzuweisen.
Daher muss der Bürgerentscheid aufgrund des wesentlichen Verfahrensfehlers als rechtswidrig gewertet werden.
Der Verfahrensfehler ist hier darin zu sehen, dass die Stadt Oelde es unterlassen hat, eine Abrede mit dem Postdienstleister hinsichtlich der Möglichkeit einer Samstagszustellung zu treffen, obwohl in dem beigefügten Merkblatt darauf hingewiesen wurde, dass Briefe, die am Freitag, dem 22.03.2019 versendet werden, noch rechtzeitig vor dem Sonntag, 24.03.2019 16 Uhr, zugehen können. Dies suggerierte dem Abstimmenden, dass auch die freitags in den Briefkasten eingeworfenen Briefe noch vor Ende der Frist zugestellt werden können, obwohl die Möglichkeit des postalischen Zugangs am Samstag oder Sonntag tatsächlich nie bestand. Selbst wenn der Bürger eine längere als die im Merkblatt angegebene Postlaufzeit einkalkulierte und den Brief deshalb bereits donnerstags zur Post aufgab, ist ein Zugang am Samstag nicht mehr gesichert gewesen. Augenscheinlich betraf das auch die in Rede stehenden 28 Abstimmenden, deren Briefe wohl bereits donnerstags zur Post aufgegeben wurden. Eine fristwahrende Zustellung wäre nach allgemeiner Lebenswahrscheinlichkeit hingegen erfolgt, hätte die Stadt die auch sonst bei Wahlen übliche Samstagszustellung ermöglicht.
Dieser Verfahrensfehler ist auch wesentlich. Insofern finden die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze Anwendung. Ein Verfahrensfehler ist wesentlich, wenn die Möglichkeit einer Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses besteht, ohne dass es der konkreten Feststellung einer tatsächlich erfolgten Änderung oder Beeinflussung bedarf. Ob diese Möglichkeit bestand, d. h. ob der Verstoß geeignet war, eine Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses herbeizuführen, beantwortet sich in der Regel aus der Art des Verstoßes unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 01. März 2018 – 9 A 53/17.PL –, juris). Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach der Lebenserfahrung und den konkreten Fallumständen Auswirkungen des Verstoßes auf das Wahlergebnis faktisch so gut wie ausgeschlossen sind, ganz fernliegen, sich als höchst unwahrscheinlich darstellen oder gar lebensfremd erscheinen (vgl. grundlegend Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Juni 1996 – 2 KO 229/96 –, juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da lediglich 6 Stimmen fehlten, um das erforderliche Quorum zu erreichen und insoweit nicht auszuschließen ist, dass die in Rede stehenden 28 Stimmen ohne den irreführenden Hinweis im Merkblatt und der nicht möglichen samstäglichen postalischen Zustellung rechtzeitig bei der Stadt Oelde eingegangen wären.
Ein wesentlicher Verfahrensfehler hat die Rechtswidrigkeit des Bürgerentscheids zur Folge.
Grundsätzlich steht den Unterzeichnern eines Bürgerbegehrens ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung des Bürgerentscheids zu (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 20. Juni 2002 – 2 L 505/02 –, juris.). Gem. § 26 Abs. 6 S. 3 GO NRW ist der Rat mithin verpflichtet, den Bürgerentscheid zu wiederholen, sofern er den Ratsbeschluss vom 14.01.2019 nicht aufhebt und dem Bürgerbegehren entspricht.
Für den Fall, dass der Bürgerentscheid wiederholt wird, ist durch den Rat ein Termin festzulegen. Die Verwaltung prüft derzeit, ob eine Durchführung des Bürgerentscheids am Tag der Europawahl, 26. Mai 2019, angesichts der zu beachtenden Fristen möglich ist.